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Schnee 2010 in Aachen – »Soviel Schnee hatten wir ja noch nie!«

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Der Aachener Dom, Printenmänner und eine Lichterkette. Alle vom Schnee befallen. (Bild: Nina Bergstein)
Die Schneehöhen am 25.12.2010 (DWD)

»Soviel Schnee hatten wir ja noch nie!« — kein Weihnachtsessen, bei dem dieser Satz nicht auftauchte. In Aachen lag am ersten Weihnachtstag laut Deutschem Wetterdienst (DWD) 37 cm Schnee (siehe den Ausschnitt der Schneehöhenkarte rechts). Aus eigener Erfahrung können wir sagen: so lange das physikBlog existiert, lag nicht soviel Schnee im Garten des Headquarters. Glauben wir.

Wir glauben zwar an die heilende Kraft von Raketenstarts und Einhörner, sobald aber potentiell Statistiken verfügbar sind, schalten wir in den Wissenschaftsmodus. In den digitalen Archiven des deutschen Wetterdienstes haben wir die Schneehöhen für Aachen seit 1892 ausgegraben und sie analysiert.

Ein kleiner Ausblick: Wir beginnen zuerst mit unseren Ergebnissen, wobei wir mit dem eher Uninteressanten starten und am Ende zu einer Antwort in Bezug auf die Aussage im Titel kommen.1 Danach zeigen wir euch, wie wir alles ausgewertet haben, welche Annahmen wir machten und was es zu beachten gibt, wenn ihr auch rumanalysieren wollt.
Ein Klick auf den Graphen macht ihn groß.

Schneegraphen

Schneehöhen und Schneetage

Die maximal liegende Schneehöhe in einem Jahr. Die Trendlinie ist zur Belustigung des Lesers eingezeichnet und relativ aussagelos. Oder haben wir durch die negative Steigung etwa die Klimaerwärmung nachgewiesen!!1!?

Wenn man von »viel Schnee« spricht, dann ist das etwas schwierig wissenschaftlich zu beurteilen. Man muss konkretere Begriffe wählen; recht naheliegend ist die Schneehöhe, die auf dem Boden liegt. Im Graph oben sieht man die maximalen Schneehöhen (»Peak-Schnee«), die in einem Jahr gemessen wurden. Demnach ist zwar das aktuelle Jahr mit 37 cm in der Spitzengruppe, aber im Jahr 1969 lag mit 43 cm noch etwas mehr.

Jetzt lag aber nicht nur an einem einzelnen Tag viel Schnee, es war lange viel Schnee da.

Durchschnittliche Schneehöhe pro Tag, an dem Schnee lag.

Bei der durchschnittlichen Schneehöhe für die Tage, an denen Schnee lag,2 ergibt sich aber ein ähnliches Bild: Der aktuelle Winter (13,23 cm) ist zwar oben auf, aber noch nicht einmalig (z.B. Winter 1960/61: 18,25 cm). Die Anzahl der Schneetage sieht man in folgender Grafik:

Die Anzahl der Schneetage im Winter (blau) inklusive einer Prognose (lila). Den Ausschnitt der letzten 22 Jahre gibts hier.

Da der aktuelle Winter noch nicht abgeschlossen ist (siehe Blick nach draußen), haben wir mal versucht, eine Prognose für die Anzahl der Schneetage zu erstellen (lila Punkt). Für Winter, mit mehr als 10 Schneetagen im Dezember ergeben sich im Schnitt weitere 12,2 Schneetage nach dem 28.12. (das war der Stichtag, an dem wir die Auswertung gemacht haben).

Die maximale Schneehöhe, die Anzahl der Schneetage und Kombination mit dem Mittelwert deuten also auf einen intensiveren und überdurchschnittlichen Winter hin, aber Wohnzimmerwetter für Kaiserpinguine ist das wohl noch nicht.

Summe der Schneehöhen

Ein anderer Ansatz die Menge an Schnee zu bestimmen ist die Schneehöhen der einzelnen Tage aufzusummieren. Der folgende Graph zeigt die Verteilung für die vergangenen und den aktuellen Winter, wobei hier keine Hochrechnungen durchgeführt wurden.

Die Summe der Schneehöhen im Winter zeigt für den letzten und den jetztigen überdurchschnittlich viel Schnee. Und der jetztige ist noch nichtmal vorbei.

Der geneigte Graphengucker wird erkennen, dass der letzte und jetztige Winter oberhalb der Trendlinie liegen, also deutlich überdurchschnittlich viel Schnee hatten. Mit 416 cm (aktuell) bzw. 320 cm (letzter Winter) liegen sie aber noch ordentlich hinter dem Winter 1894/95, in dem es zusammengefasst 1.192 cm Schnee gab. Trotzdem hat der aktuelle Winter noch Potential, da die tendenziell schneereichen Monate Januar und Februar erst noch kommen. Das erkennt man in der durchschnittlichen Schneemenge (blaue Punkte) der einzelnen Monate:

Die durchschnittlichen Schneemengen der Monate (blaue Punkte) liegen insbesondere im Dezember unter dem aktuellen (lila Punkte).

So liegt im Dezember im Schnitt eine Schneehöhensumme von 22,8 cm, Januar (50,0 cm) und Februar (58,0 cm) liegen deutlich darüber. Hier erkennt man bereits gut, dass der aktuelle Dezember (lila Punkte) sich sehr deutlich vom Durchschnitt abhebt.
Das kann man auch über die Statistik begründen. Im Graph erkennt man Fehlerbalken an den blauen Punkten, die sich aus den Schwankungen der Werte ergeben. Für den aktuellen Dezember liegt der Messwert 22 mal so weit vom Mittelwert entfernt, wie die bisherigen Schwankungen es vermuten lassen würden. Wir können also feststellen, dass wir einen außergewöhnlich schneereichen Dezember haben.

Die aufsummierten Schneehöhen im Dezember zeigen einen sehr deutlichen Sprung für den Dezember 2010.

Die aufsummierten Schneehöhen für Dezember lassen ebenfalls darauf schließen, dass der aktuelle Dezember heraussticht. Insbesondere liegt er mit 416 cm3 mehr als zweimal über dem nachfolgenden Dezember im Jahre 1950 mit 176 cm. Wir hatten also relativ lange relativ viel Schnee auf unseren Straßen liegen.
Die Aussage, dass wir soviel Schnee noch nie hatten, kann man also bestätigen, wenn man die Summe der Schneehöhen im Dezember meint. Ansonsten haben wir aber mindestens einen außergewöhnlichen Winter gehabt.

Und Weihnachten?

»Weiße Weihnacht« wird immer besonders herbeigesehnt, vor allem, weil es für Aachen in 98 Jahren der Aufzeichnung nur achtmal Schnee mit mehr als 2 cm4 am 25.12. gab.5 Offensichtlich gab es dieses Jahr Schnee an Weihnachten, laut folgender Grafik sogar soviel wie nie zuvor in Aachen. Ihr habt also soeben außergewöhnliche Weihnachten erlebt. Herzlichen Glückwunsch.

Die Schneehöhen an Weihnachten (25.12., blaue Punkte) sowie Silvester (31.12., lila Punkte). Dieses Weihnachten lag soviel Schnee wie nie. Ha!

Silvester war in den vergangen Jahren häufiger verschneit als es Weihnachten war.6 Das morgige Silvester wird wahrscheinlich ebenfalls in weiß stattfinden. Silvester 2010 ist dann schnee-betrachtet immer noch außergewöhnlich, aber wegen der generell höheren Schneewahrscheinlich im Gegensatz zu Weihnachten etwas weniger außergewöhnlich als die diesjährigen Weihnachtstage.
Trotzdem wird es äußerst toll, schließlich habt ihr jetzt diesen lebensverändernden Artikel gelesen.7

Nachtrag: »Und? Was ist jetzt mit der Klimaerwärmung?« – nun, Interpretationen zu dem Bereich überlassen wir lieber Menschen, die sich damit auskennen.

Technisches zur Auswertung

Ein paar Anmerkung zur Auswertung

Betrachtung von Jahren und Wintern; Hochrechnung

Der naive Vergleich von Schneefällen findet in Jahr-Intervallen statt, so wählten wir ihn zumindest intuitiv und auch relativ praktikabel zum Erscheinungszeitpunkt dieses Beitrags (immerhin ist morgen Silvester!). Schnee fällt aber primär im Winter, zumindest um den Jahreswechsel herum verteilt, so dass dieses Zeitintervall vom 1. Januar bis zum 31. Dezember vielleicht nicht das sinnvollste zum Vergleich ist. Daher haben wir auch die Winter einzelner Jahrespaare verglichen (»2001/02«), wobei jeweils der Zeitraum vom 1. Juni bis zum 31. Mai gewählt wurde.
Bedenkt bei den Angaben zum aktuellen Winter, dass er noch nicht zuende ist, die Werte also nicht final sind. Für die Anzahl der Schneetage haben wir uns — wie beschrieben — an einer Prognose versucht.

Betrachteter Zeitraum und die Lücke in den 1920er Jahren

Die Wetterdaten, die vom Deutschen Wetterdienst für Aachen abrufbar sind, reichen bis ins Jahr 1892 zurück. Wenn ihr euch aber die Graphen oben genauer anschaut, dann seht ihr, dass von 1915 bis 1933 eine Lücke in der Aufzeichnung vorhanden ist. Einen genauen Grund für dieses Ausbleiben der Wetteraufzeichnungen konnten wir nicht herausfinden, allerdings könnte der erste Weltkrieg und die folgende(n) Wirtschaftskrise(n) ein Grund sein. Wenn ihr mehr Ahnung von Geschichte habt als wir, die nur wissen, wann die Paritätsverletzung im Leptonsektor nachgewiesen wurde: erleuchtet uns in den Kommentaren!

Schneefall und liegender Schnee

Wir haben hier probiert, subjektive Empfindungsgrößen in wissenschaftlich messbare Daten umzuwandeln. »Der härteste Winter seit fünftausend Jahren«, »Die schönste weiße Weihnacht seit der Cheops-Pyramide« und »Soviel/solange/so hohen Schnee hatten wir das letzte Mal im Arktisurlaub« lassen sich nicht 1:1 übersetzen. Ein »harter Winter« mit »viel Schnee« lässt viele Interpretationen zu. Hat es von abends bis morgens mit riesigen Flocken geschneit?8 Ein Schneesturm, der Fenster weiß tönt? Über den fallenden Schnee macht der untersuchte Datensatz des DWDs direkt keine Aussagen, daher haben wir uns darauf beschränkt, den liegenden Schnee zu interpretieren. Durch Differenzen von aufeinanderfolgenden Tagen könnte man eine erste Näherung über den Schneefall angeben. Oder man betrachtet einen anderen Datensatz9 mit dem Niederschlag als Regenäquivalent. Haben wir aber nicht, ätsch.

Rohdaten & Selbermachen

Das Abfragesystem des Deutschen Wetterdiensts nennt sich WebWerdis (Weather Request and Distribution System, Yeah.) und ist in Sachen Usability ein riesiger PITA. Über die Freitextsuche kann man auf »Snow«-Daten zugreifen und sich nach kryptischen Links zu einer Suchmaske durchklicken — die natürlich nicht deeplink-bar ist. Für große Datensätze benötigt ihr einen FTP-Server mit Schreibberechtigungen. Wollt ihr euch die Arbeit ersparen, können wir euch die XML-Datei aus Aachen zuschicken (77 kB).
Das Dokument verfügt über ca. 28.000 Datenpunkte. Um die obigen, interessanten Werte herauszuziehen, haben wir ein kleines Python-Skript geschrieben. Das Skript ist nach dem Physiker-Praktikabilitäts-Paradigma (P3) programmiert: furchtbar schlechter Stil, andauerndes Copy & Paste — aber erfüllt seinen Zweck. Schaut’s euch an und erweitert es gerne!
Unsere herausgezogene, den obigen Graphen zugrunde liegende Punkteauswahl haben wir nach Graphen getrennt in ein Google-Docs Spreadsheet geladen. Damit ihr noch schönere Graphen bauen und in unsere Kommentare posten könnt!

Lizenz

Die Graphen und das kleine Python-Skript dürft ihr gerne weiterverwenden — und auch anpassen. Wir bitten euch sogar darum! Wie alles in diesem Blog sollte das unter den Richtlinien der Creative-Commons-Lizenz des Typs »by-nc-sa« stattfinden: Ihr müsst uns als Autoren erwähnen, dürft den Kram nicht kommerziell nutzen und müsst eure Arbeiten unter selbiger Lizenz veröffentlichen. Wenn ihr Ausnahmen von dieser Lizenz haben wollt, nehmt Kontakt mit uns auf; wir finden sicherlich eine Lösung.

  1. Dranbleiben lohnt sich also!
  2. also alle Schneehöhen aufsummiert und durch die Anzahl der Tage mit Schnee geteilt
  3. gemessen bis einschließlich 30.12.
  4. Was sind schon 2 cm Schnee?! Nichts! Richtig. Mit sowas geben wir uns gar nicht erst ab. So. Punkt.
  5. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit für Schnee an Weihnachten von 8,2 %.
  6. Für Schnee zum Jahreswechsel liegt die Wahrscheinlichkeit bei 12 aus 98, also 12,2 %.
  7. Und wer konnte das, außer dem Doctor, schon letztes Jahr von sich behaupten?
  8. Und tagsüber wieder getaut?
  9. Datensatz: de.dwd.klis.RRDS

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